Rede zur Eröffnung der Ausstellung „Mainz vor meiner Haustür“ im Rathaus am 11. April 2013. Von Michael Bonewitz.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Marianne Grosse, lieber Thilo und lieber Thomas,
liebe Freunde der Kunst,

es ist mir eine besondere Ehre, hier im Mainzer Rathaus die Ausstellung „Mainz vor meiner Haustür“ mit eröffnen zu dürfen. Wann immer wir das Rathaus betreten, schwingt ja inzwischen eine gewisse Furcht mit. Ich weiß nicht, wie es ihnen geht, aber man fragt sich unweigerlich: Hält es denn überhaupt noch? Im Keller tropft es, die Fassaden bröckeln, Deckenpaneelen lösen sich. Ja, kommen wir denn überhaupt lebend hier wieder raus?

Andererseits steckt auch eine gewisse Symbolik dahinter. Fast schon eine Mahnung. Sozusagen der stahl- und betongewordene Hinweis - in diesem Rathaus ist nichts zu holen. Keine Zuschüsse, keine Fördergelder. Der Stadtsäckel ist leer.
So gesehen, stellt sich die Frage, ob das Rathaus überhaupt saniert werden sollte. Vielleicht lässt man es besser so wie es ist, ein bisschen beschädigt schaut‘s aus, ein bisschen bemitleidenswert und so hält man ganz nebenbei jedwede Begehrlichkeit weit sichtbar weit von sich. Wie nähert sich ein Künstler solch einem Thema? Lars Reichow hatte ja eine bombige Idee: Auf die Frage "Wie geht‘s weiter mit unserem Rathaus - sanieren oder abreißen?" antwortete er "Weder noch, ich würde es sprengen."

Nun gut. Thilo Weckmüller und Thomas Bauer sind da - um in Reichows Sprachduktus zu bleiben - von einem ganz anderen Kaliber. Ihnen stellt sich die Frage gar nicht. Für sie gehört das Rathaus zu Mainz wie der Handkäs zur Musik, wie die Fleischwurst zum Mainzer Ring. Selbst den monströsen Bonfaziustürmen am Bahnhof können sie noch etwas Liebevolles abgewinnen. Gut, Sie sind hässlich, die Bonifaziustürme, aber hatten wir nicht auch in unserer Kindheit bizarre Urtiere, mit denen wir kuschelten? So mancher Teddybär -zerrupft und zerzaust -, der war ja nur dank seines Namens noch als Teddybär zu erkennen.

Und genau mit dieser Einstellung - wie eine fürsorgliche Entenmutter ihr hässliches Entlein liebt - nähern sich Thomas Bauer und Thilo Weckmüller auch den ungewöhnlichsten Ecken unserer geliebten Heimatstadt Mainz. Wo andere nach dem Sprengmeister rufen, zücken sie die Kamera und halten Mainz fest so wie es ist oder war. Aus diesen Fotos entstehen dann künstlerische Verfremdungen, die einen selbst die Stadt neu entdecken lassen.

Die Trinkhalle am Binger Schlag etwa, die gibt es schon gar nicht mehr. Aber Thilo Weckmüller und Thomas Bauer haben sie wahrgenommen, aufgenommen und umgesetzt in ein tolles Bild. Überhaupt scheinen Trinkhallen eine gewisse Anziehungskraft auszuüben. Aus der Goethestraße und aus der Boppstraße haben die beiden die jeweiligen Trinkhallen künstlerisch verewigt. Und auch den Sexshop in der Zanggasse - auch den gibt es übrigens nicht mehr. Aber auf ihren Bildern.

Böse Zungen behaupten, was immer sie aufnehmen, wird früher oder später aus dem Stadtbild verschwinden. Vielleicht wurden sie deshalb animiert, die Bonifaziustürme und das Rathaus in ihr Kunstportfolio aufzunehmen.
Aber nein, so ist es nicht. Zwei absolute Verkaufs-Renner sind der Dom und die Theodor Heuss-Brücke, die einst Jens Beutel von Kurt Beck zum Abschied bekommen hat. Gut könnte man sagen, auch hier ist wieder etwas verschwunden, allerdings diesmal nicht das Motiv, sondern der Beschenkte, zumindest aus seinem Amt.

Interessant ist es auch, wie sich die beiden manchen Motiven nähern. Thomas Bauer etwa hat das Rathaus festgehalten. Ein Werk im Siebdruck und der Thomas ist ein kleiner Meister dieser Technik. Gedruckt hat er es allerdings nicht auf eine Leinwand, sondern auf einen alten, etwas ramponierten Tapezierertisch. Welch Symbolkraft steckt dahinter. Und es war nicht leicht, hat er mir erzählt, die Farbe auf das mit speckiger Patina übersäte Holz zu bannen. Und er hat in einem weiteren Druck gezeigt wie schön das Rathaus ausschauen könnte, etwa mit einem roten Hintergrund auf einem frischen, neuen Holzrahmen gedruckt. Auch hier wieder eine versteckte Botschaft. Überhaupt muss man sich die Bilder der beiden genauer anschauen. So hängen sie dem Dom schon mal eine Fleischwurst um den Westturm. Welche Botschaft dahinter steht, das überlasse ich ihnen.

Uah - nennen die beiden ihren Werkstatt-Laden. Uah - ein Aufschrei. Mal des Erstaunens. Uah. oder des Verblüffens. Uah. U a h, drei Buchstaben, die sie selbst comichaft in einer Sprechblase einbetten.
Umdruck - Aufdruck - Hochdruck versteckt sich dahinter. Ich hatte das große Vergnügen, die beiden in ihrer Werkstatt besuchen zu dürfen. In der Kurfürstenstraße 44. In der Mainzer Neustadt. In einer ehemaligen Backstube der Bäckerei Gögelein.

Hier entstehen die Werke der beiden. Allerdings backen sie keine kleinen Brötchen. Sie walzen vielmehr Linoleumplatten über Buchrücken-Kartons. Tonnenschwer ist der Andruck und es ist faszinierend zuzuschauen, wie sich Farbschicht auf Farbschicht walzt und das Linoleum mal um mal weggeschabt wird, damit neue Effekte auftreten. Mit jeder Farbschicht verschwindet ein Stück der Vorlage - bis nichts mehr da ist und auch nichts wiederholbar. Eine vergängliche Kunst. 20 Drucke pro Platte sind es. Und jeder Druck ist anders, mal satt und press, mal blass und kess. Mal hell, mal dunkel. Mal verschiebt sich der Passer und schon entstehen völlig neue Wirkungen.

Natürlich könnte man heute mit Computer und Plotter alles ganz genau fixieren, aber das wäre eine andere Kunst. Denn hier bei den „uahs“ spielt auch der Zufall eine Rolle.

Während Thilo Weckmüller malt und mit Hochdruck im Hochdruck arbeitet, ist Thomas Bauer auch Siebdruck-Experte. Eine Technik, die einst Andy Warhol zur Kunst erhoben hat. Eines der bekanntesten Werke aus dieser Zeit dürfte wohl die Abbildung eines Kinostandbildes aus dem Film „Niagara“ mit Marilyn Monroe sein, das Warhol über Jahre hinweg in vielen Farbvariationen verarbeitete. Wir alle kennen das Motiv - oder auch die legendären Suppenkonserven „Campbells Soup“, die es in 32 verschiedenen Geschmacksrichtungen gab und genau deshalb hatte sie Warhol in den 60er Jahren 32 Mal gedruckt.

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Am Ende ist jeder Druck ein Unikat und eigentlich unbezahlbar. Knapp 60 Werke können wir hier bewundern. Mainz vor meiner Haustür, so heißt die Ausstellung. Es ist auch Mainz vor deiner und Ihrer und seiner und unserer Haustür. Ansichten, die neue Einsichten vermitteln.

Das Rathaus, das Rheinufer, die Altstadt, der Dom und die Christuskirche. Wir alle kennen die Stätten, erkennen sie wieder und freuen uns an ihrer herzerfrischenden Umsetzung.

Bevor ich zum Schluss komme, lege ich Ihnen in jedem Fall den Werkstatt-Laden in der Hinteren Bleiche ans Herz. Als Restauranttester orientiere ich mich gerne an Restaurants. Das Uah liegt direkt neben dem Café Portugal an der Ecke Heidelberger Fassgasse. Ein kleines Lädchen mit Postkarten und Bildern, mit Drucken und Gemälden, mit Büchern und Bänden, mit Spielen und Nippes, T-Shirts und - seien sie nicht überrascht - auch mit Strickwaren. Eine gehäkelte Fleischwurst etwa liegt dort im Schaufenster, die eine 83-jährige Oma fertigt, Frau Kolter aus Mombach. Die auch schon Stangenspargel und CD-Hüllen gestrickt hat.

Im Werkstatt-Laden stoßen sie dann auch auf Porträt-Bilder einer ungewöhnlichen Reihe mit dem Namen „Trotz alledem“. Hier stellen Thilo Weckmüller und Thomas Bauer Persönlichkeiten aus dem Rhein-Main-Gebiet vor, die im Dritten Reich Widerstand geleistet haben. Monatelang haben sie dafür immer wieder recherchiert. Darunter Friedel und Elena Janecek oder Paul und Helene Baumann hier aus Mainz, viele, die im KZ Osthofen inhaftiert wurden und antifaschistischen Widerstand geleistet hatten. Auch ein Porträt von Seppel Glückert gehört in diese Reihe. Den beachtenswerten Katalog dazu bekommt man ebenfalls im Werkstatt-Laden.

Ein tolles Projekt, das weitergeführt wird, und das beiden sehr am Herzen liegt. Es ist schon eine enorme Bandbreite, die sich im künstlerischen Leben der beiden inzwischen angesammelt hat und sie haben noch jede Menge Ideen. In ihrer Backstube stehen fünf gewaltige Schränke voll mit Bleisatz-Utensilien. Was daraus wird, weiß man noch gar nicht. In ihren Schreibtisch-Schubladen oder besser gesagt auf ihren Festplatten schlummert ein Kinderbuch, das sie mit einem unglaublichen Aufwand erstellt haben. Vielleicht lässt sich ja hier ein Sponsor erweichen.

In vielen Bildern entdeckt man verschmitzte Anspielungen, subtile Andeutungen, skurrile Blickwinkel - aber immer mit einem liebevollen Augenzwinkern.

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Beide können von der Kunst allein nicht leben. Thilo arbeitet als Grafiker, er erstellt auf Wunsch Flyer und Illustrationen und kann sogar ganze Wände bemalen, eine Kunst, die er in einer Zeit erlernt hat, als er bei Vitus Wurmdobler arbeitete, ein berühmter Restaurator, der im rheinhessischen Erbes-Büdesheim lebt und wirkt.

Thomas arbeitet halbtags in der Unimedizin, genauer gesagt in der Neurochirurgie, er erstellt anatomische Zeichnungen und kümmert sich um das Internet und allerlei grafische Aufgaben.

Und ab nachmittags stehen die beiden dann im Laden und verkaufen ihre Kunst. Eines meiner Lieblingsmotive ihrer humorvollen Karten hängt bei uns in der Küche. Ein Satz steht da drauf, und es ist ein wunderbares Schlusswort, das fast schon zu einem Wahlspruch werden könnte: Wir saßen beim Wein und alles war gesagt.